AAL: Active Assisted Living

Der demografische Wandel verändert mit dem Fach- und Arbeitskräftemangel in der Pflege die Art und Weise, wie wir unser letztes Lebensdrittel begehen. Die aktuellen Multikrisen agieren als Brandbeschleuniger und legen die Schwachstellen schonungslos offen.

Dies trifft uns auf eine sehr persönliche Weise: Die Pflege wird verstärkt zur familiären Aufgabe, dafür muss privat tief in die Tasche gegriffen werden. Hier tickt eine gesellschaftliche Bombe, die vielen Betroffenen und PolitikerInnen noch gar nicht bewusst ist. 

Eine der Stellschrauben ist AAL: Active Assisted Living.
 
Unter AAL versteht man Assistenz-Technologien und Konzepte, die es Menschen mit Bedarf an Unterstützung ermöglichen, den Lebensraum so zu gestalten, dass sie ihren Alltag weitgehend ohne fremde Hilfe bewältigen können. Das Ziel: Möglichst lange mit hoher Lebensqualität und so gesund, unabhängig und selbständig wie nur möglich leben können.

In Pflegeeinrichtungen bzw. im Betreuten Wohnen unterstützen diese Technologien das Personal in der Bewältigung ihrer Aufgaben.

DIE STÄRKEN VON AAL ANWENDUNGEN

Assistenz-Technologien unterstützen und entlasten das Pflege-Personal in Zeiten des hohen Arbeitsdrucks und machen Pflegeorganisationen insgesamt reaktionsfähiger. Zu Pflegende erhalten rascher Hilfe und die notwendige Unterstützung. So kann der Gesundheitszustand der PatientInnen besser verfolgt und bei Veränderungen rasch eingeschritten werden. Krankheit werden dadurch bereits im Anfangsstadium erkannt und behandelt. Durch künstliche Intelligenz wird hier in Zukunft noch eine Vielzahl an Anwendungen möglich sein.

Die Lösungen übernehmen Bürokratie, Routinen und verbessern Planungen, die freigewordenen Ressourcen können sinnstiftender für die Pflege eingesetzt werden. Wichtig: Sie übernehmen nicht die Pflege, sondern nur einzelne Arbeitsschritte.

Private Anwendungen bieten Lösungen, um ältere Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen im Alltag oder auch in Notfallsituationen zu unterstützen. Sie beziehen das Pflegepersonal, die Angehörigen und ÄrztInnen ein und verbessern dadurch bereits existierende (Kommunikations-) Strukturen.

Wichtig: Technologien sind nur ein Teil des Ganzen: Es gilt an mehreren Hebeln anzusetzen. Ziel muss es sein, dass Menschen so lange und so gesund wie möglich in den eigenen vier Wänden leben können. Länder wie Schweden oder Dänemark setzen bereits auf ein Gesamtkonzept, das auf hohe Eigenverantwortung, Hilfe zur Selbsthilfe und Technologie setzt. So zeigen Showrooms den Menschen, welche AAL-Produkte und Konzepte es bereits am Markt gibt. Bildungseinrichtungen schulen die MitarbeiterInnen des Health- und Care-Sektors in digitalen und technologischen Weiterentwicklungen, erklären ihre Anwendung in der Praxis. Ältere Personen erhalten weiters  individuelle Beratungen und Schulungen, wie sie ihr Leben gesünder und nachhaltiger gestalten können. 

DIE CHANCEN (NUTZEN)

Die Innovation kommt aus der Region: Projekte dienen der Erforschung, oder auch der verbesserten Beratung und Information, wie das Zuhause altersgerecht, sicher und mit Komfort für das Alter vorbereitet werden kann. Hier braucht es mehr Zusammenarbeit, um die Entwicklungen und Erkenntnisse sichtbar zu machen – auch damit nicht jede Region neu zu entwickeln beginnt. Und das am besten auch Länder- und Staatenübergreifend. Durch den verbesserten Austausch „wären wir bereits viel weiter“, erklärt ein Teilnehmer. 

Die Chance der politischen Verankerung: Wer das Thema in der Politik verstanden hat, bildet Strukturen, um im Bundesland oder in der Region die Thematik zu verankern. Politische Kernteams sind Treiber regionaler Innovation. Durch die politische Verankerung erhalten neue, innovative Ansätze Gehör in den politischen Gremien, eine verbesserte Sichtbarkeit und Umsetzbarkeit. 

Zukunftsthemen Prävention, Früherkennung & Eigenverantwortung: Die Entwicklung von der reinen Reparaturmedizin und der Symptombekämpfung hin zu Früherkennung, Prävention und Eigenverantwortung ist ein großes Anliegen der InterviewpartnerInnen. Hier gilt es nicht nur Einsparungen zu bewirken: Dadurch leben wir gesünder, viel Leid könnte vermieden werden.

Chancen verbessern durch Sichtbarkeit & Erklärung: Um den Go-to Market der Lösungen zu unterstützen, benötigen die Innovationen und Ideen Sichtbarkeit, um zu den Stakeholder am Pflege- und Gesundheitssektor, in Versicherungen, zu EndkonsumentInnen sowie deren Angehörigen zu gelangen. Diese Technologien benötigen Erklärung insbesondere bei den Zielgruppen, die mit digitaler Technologie noch wenig in Berührung kam.


DIE HERAUSFORDERUNGEN

Neue Herangehensweisen notwendig: Das System ist starr, die Konzepte aus der Vergangenheit sind zur Lösung der aktuellen Herausforderungen nicht mehr geeignet. Es braucht laut InterviewpartnerInnen neue Herangehensweisen, eine grundlegende Transformation des Pflegesystems. Technologie ist hier nur ein Bestandteil: Was es braucht „ist eine integrative Struktur, in der Pflegekassen und Versicherungen zusammenarbeiten mit den Institutionen, mit den Städten und Dienstleistern.“

 Die Pflege wird verstärkt dezentral und zu Hause stattfinden. Die Zukunft gehört daher dem kollaborativen Zusammenspiel von zu Pflegenden, ÄrztInnen, Pflegepersonal und Angehörigen. Hier sind nicht viele Fragen offen. 

Fachübergreifende Vernetzung und Zusammenarbeit: Smarte Gesundheitsanwendungen verändern auch die Art und Weise, wie gebaut uns saniert wird. So sind auch Berufsgruppen wie ArchitektInnen, Bau-Unternehmen und Gewerke wie ElektrikerInnen betroffen: Sie planen und konzipieren, sind für Einbau, Umbau und Sanierungen, für den Betrieb und Wartungen verantwortlich. Auf hier stehen wir noch am Anfang.

Technologie im „Valley of Death“ & Finanzierungslücken: Trotz europaweiter, milliardenschwerer Förderungen wurde die Marktbearbeitung seitens Unternehmen nicht aufgegriffen. Essentielle Fragen sind offen: Wer vertreibt die Produkte, wie könnten Kostenmodelle aussehen? Was soll privat bezahlt werden, was der Staat beisteuern? Und wer ist für die regelmäßige Wartung und Modernisierung verantwortlich?

Weitere Finanzierungslücken entstehen aktuell durch die Multikrisen: Die hohen Kosten in den Bereichen Zinsen, Miete, Energie und Lebensmittel lassen die Budgets der Pflegeeinrichtungen explodieren. 

In unserem Pflege- und Gesundheitssystem tickt eine gesellschaftliche Bombe: Der Föderalismus, die Bürokratie und die zersplitterten Kompetenzen bergen große Herausforderungen. Die Leistungen sind von Bundesland zu Bundesland verschieden, auch die Förderungen für zB die Implementierung von Assistenzlösungen ist unterschiedlich. Die lokale Entwicklung hängt an engagierten Persönlichkeiten – sind diese z.B. durch Pensionierung weg, enden damit oft auch die Projekte. 

Fazit: Der Druck auf unser Gesundheits- und Pflegesystem ist akut und wird auf Grund des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels noch weiter steigen. Das Geld steckt noch im alten System und in den traditionellen Denk-Silos. Die Transformation hin zu einem modernen System gestaltet sich herausfordernd, wird auch noch nicht bezahlt. Ein Teilnehmer: „Die Ressourcen müssen neu allokiert werden, diese sind aktuell fehl-allokiert.“


DIE SCHWÄCHEN

Hohes Marktrisiko durch zu wenig Sichtbarkeit: Die vorhanden Lösungen sind zu wenig sichtbar, und das gilt für mehrere Ebenen. Die Regionen und Bundesländer arbeiten nicht zusammen, sie recherchieren selbständig und ziehen jeweils eigene Lösungen hoch. In diesem fragmentierten Markt ist eine Skalierung für Unternehmen nur schwer möglich. Ebenso sind Lösungen bei den privaten EndkonsumentInnen nicht ausreichend sichtbar, die Zielgruppen (die Betroffenen selbst, die PflegerInnen und die Angehörigen) sind oft nur schwer erreichbar. Daher werden Lösungen nur wenig nachgefragt, auch dadurch ist das vorhanden Marktrisiko hoch.

AAL-Technologie für große Organisationen noch zu wenig ausgereift: Die am Markt erhältlichen Lösungen und Produkte sind für Private sowie kleine bis mittelgroße Organisationen geeignet. Für große Kommunen und Städte mit mehreren tausend MitarbeiterInnen und Pflegebedürftigen braucht es eine Gesamtlösung – und diese gibt es bis dato nicht. Die Verantwortlichen helfen sich, indem sie den Markt screenen und sich ansehen, wie andere Kommunen mit den Herausforderungen umgehen.

Ausschreibungen sind reflexionsbedürftig: Je detaillierter Ansuchen zur Forschungsförderung sind, desto besser stehen die Chancen, erklären mehrere InterviewpartnerInnen. Die Ausschreibungen werden dadurch sehr starr, Zwischenergebnisse können nicht ausreichend eingearbeitet werden. Fazit: Die Vorgaben führen nicht zum erwünschten Output. Weiters herausfordernd: In den 3-5 Jahren Entwicklungszeit hat sich der Markt bereits verändert, die Produkte sind alt wenn sie auf den Markt kommen. Einige Entwicklungen wurden zu „Rohrkrepierern“, weil z.B. mit der Apple Watch das bessere Sturzerkennungssystem auf den auf den Markt gebracht wurde.

Mangelhafte Co-Creation: Dies bezeichnet die Integration der EnduserInnen bei der Entwicklung der Produkte und Lösungen. Es geht nicht darum, dass diese alles können (zu teuer) oder „cool“ sind. Sie müssen das Richtige können und für die UserInnen verwendbar sein. Laut den InterviewpartnerInnen werden die UserInnen oft gar nicht oder erst viel zu spät in Entwicklungen integriert. Aber: Der Erfolg von Produkten und Konzepten in Pflegeorganisationen hängt maßgeblich vom Einbezug der Zielgruppen ab.  

Infrastruktur-Basis fehlt: Basis vieler AAL-Anwendungen ist eine funktionierende Internetverbindung. In der Stadt ist diese Anforderung weniger ein Problem, am Land aber sehr wohl. Insbesondere in Deutschland fehlt es in der Fläche an dieser Basis-Anforderung. Investoren ziehen sich aktuell zurück, weil die Planzahlen und die Auslastung der Netze sich als zu optimistisch erwiesen haben. In Österreich haben die Marktanbieter bereits für eine Digitalisierungsoffensive plädiert, welche die Breitband-Nachfrage stärken soll.

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